Abgrenzungen – Was ein KI-Prompt nicht ist
Im ersten Teil dieser Serie habe ich dargelegt, warum der KI-Prompt als Sprache verstanden werden muss – nicht als technisches Nebenprodukt, sondern als Fortsetzung des urmenschlichen Prinzips von Kommunikation und Dialog. Doch um die Bedeutung zu schärfen, reicht es nicht, den Prompt nur positiv zu beschreiben. Wir müssen auch klären, was er nicht ist. Denn viele der Begriffe, die heute im Umlauf sind, sind irreführend. Sie verstellen den Blick auf das Eigentliche und reduzieren den Prompt auf eine Nebenrolle, die er schlicht nicht hat.
Kein „Phänomen“
Oft wird der Prompt als Phänomen beschrieben, als wäre er zufällig aufgetaucht – ein sonderbares, letztlich unerklärliches Ereignis. Doch das ist ein Missgriff. Die Grundlagen sind nicht vom Himmel gefallen. Transformer-Architektur, Attention-Mechanismen und die gigantischen Trainingskorpora sind das Ergebnis einer klaren Entwicklungslinie. Die Roadmaps der großen Labore wie OpenAI, Google oder DeepMind haben seit Jahren angedeutet, wohin die Reise geht. Der Prompt war nie ein Zufallsprodukt, sondern von Anfang an vorgesehen. Er ist keine plötzliche Erscheinung, sondern das gezielt entwickelte Medium, mit dem Mensch und Maschine kommunizieren.
Keine „Mode“ oder „Hype“
Manche betrachten Prompting als Mode oder Hype, der bald verfliegt. Doch das trifft nicht zu. Ein Hype lebt vom Rausch und verschwindet mit dem nächsten Trend. Prompting dagegen erfüllt eine fundamentale Notwendigkeit: Es ist die Schnittstelle, an der Gedanken und Maschine zueinanderfinden. Solche Strukturen verschwinden nicht – sie verankern sich kulturell. Sprache selbst war einmal „neu“, und sie wurde zur Institution. Der Prompt ist ein vergleichbarer Schritt, eine neue Evolutionsstufe der Kommunikation.
Keine „Schnittstelle“ im klassischen Sinn
Ein weiterer Missgriff besteht darin, den Prompt als Interface zu beschreiben. Das klingt zunächst harmlos, doch es ist eine Reduktion, die sein Wesen verfehlt. Klassische Interfaces sind strikt: ein Befehl, ein Klick, ein API-Aufruf. Sie übertragen Daten oder Kommandos. Ein Prompt aber überträgt etwas anderes – er überträgt Absicht, Kontext und Nuance. Er trägt Bedeutung, nicht nur Instruktion. Ein Satz wie „Schreibe einen Text wie Rilke“ ist kein API-Befehl, sondern ein sprachlicher Akt voller kultureller Tiefe. Den Prompt auf eine Schnittstelle zu reduzieren, heißt, ihm seine eigentliche Dimension zu nehmen.
Kein „Pidgin“
Manchmal wird der hybride Charakter des Prompts mit Not-Sprachen verglichen – mit Pidgin, das dort entsteht, wo Menschen ohne gemeinsame Sprache gezwungen sind, sich rudimentär zu verständigen. Aber auch das führt in die Irre. Pidgin reduziert Sprache, es schneidet Komplexität ab, um reine Verständigung zu ermöglichen. Prompting hingegen tut das Gegenteil: Es erweitert. Es ist nicht Reduktion, sondern Expansion. Ein Prompt erlaubt die bewusste Vermischung von Deutsch, Englisch, Code, Fachtermini, poetischen Bildern und emotionalen Untertönen. Er ist kein Behelf, sondern eine bewusste Meta-Hybridität – die Verschmelzung vieler Ebenen zu einer Sprache, die mehr ausdrücken kann, nicht weniger.
Kein „Hack“
Ebenso unzutreffend ist die Vorstellung, ein Prompt sei nur ein Hack – ein Trick, um Systeme auszutesten oder auszutricksen. Doch das greift zu kurz. Prompting ist kein Schlupfloch, sondern die kanonische Funktion dieser Systeme. Ein Hack ist eine Abweichung vom Standard. Prompt hingegen ist der Standard. Sprache ist auch kein Hack für Gehirne, sondern das Betriebssystem unseres Denkens. Genauso ist Prompt nicht Nebenweg, sondern Hauptstraße.
Keine „temporäre Brücke“
Und schließlich: Der Prompt ist keine Übergangslösung. Es gibt die These, dass er nur eine temporäre Brücke sei, bis bessere Interfaces erfunden werden – vielleicht Gedankensteuerung, vielleicht visuelle Oberflächen. Doch auch das ist eine Fehlannahme. Jede neue Kommunikationsform wurde am Anfang als Provisorium betrachtet. Schrift galt den Griechen als bloße „Krücke des Gedächtnisses“. Heute bildet sie die Grundlage unserer Zivilisation. Selbst wenn neue Interfaces entstehen, wird die Sprachebene bestehen bleiben. Denn Sprache ist die einzige universelle Form des Bedeutungstransfers. Prompt ist nicht Übergang, sondern eine dauerhafte Schicht der Kommunikation.
Die Grenzen des Begriffs „Prompt Engineering“
Der Begriff »Prompt Engineering« ist weit verbreitet und würdigt zu Recht die methodische und handwerkliche Seite der Formulierung. Doch er trägt in sich einen Widerspruch, der seine Grenzen aufzeigt.
Die klassische Ingenieurskunst – ob im Brückenbau, im Maschinenbau oder in der Softwareentwicklung – lebt vom Determinismus und von Berechenbarkeit. Ein Ingenieur verlässt sich auf physikalische Gesetze und mathematische Modelle, deren Ergebnisse unter gleichen Bedingungen stets vorhersehbar sind. Diese Präzision und Verlässlichkeit ist die eigentliche Genialität des Engineerings.
Die Interaktion mit generativen KI-Systemen hingegen folgt einem probabilistischen Prinzip. Selbst der raffinierteste Prompt kann – aufgrund der Komplexität und der Wahrscheinlichkeitsverteilungen im Modell – zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Hier geht es nicht um rein ingenieurtechnische Berechnung, sondern um eine kognitive Leistung: die Fähigkeit, sich ein Modell des „Gegenübers“ KI im Kopf zu bilden, ihre „Denkweise“ zu antizipieren und die eigene Absicht so in Sprache zu fassen, dass sie klar, robust und anschlussfähig ankommt.
In diesem Sinne ergänzt der Prompt den Engineering-Ansatz um eine zusätzliche Dimension: sprachliche Souveränität und dialogische Intelligenz. Vielleicht braucht es also nicht weniger als Engineering, sondern mehr – eine Erweiterung des Begriffs um die Ebene der Bedeutungskommunikation.
Denn ein Prompt ist letztlich immer die erste Äußerung in einem Dialog. Dialoge lassen sich planen, aber nie deterministisch vorhersagen. Vielleicht liegt die eigentliche Aufgabe darin, einen Begriff zu finden, der sowohl den Respekt vor der Handwerkskunst des »Engineering« bewahrt als auch die einzigartige sprachliche Natur dieser Tätigkeit angemessen würdigt.
Wenn wir diese Fehlannahmen hinter uns lassen, bleibt ein klares Bild:
Der KI-Prompt ist weder Phänomen noch Mode, weder Hack noch Pidgin, weder bloße Schnittstelle, Übergang oder rein technisches Engineering. Er ist eine Sprache – und wie jede Sprache eröffnet er nicht nur Verständigung, sondern auch Schöpfung.
Schöpfung verstehe ich dabei nicht als göttlichen Anspruch, sondern als Schöpfen im handfesten Sinn: wie Wasser aus einem Brunnen ans Licht geholt wird. Etwas, das da ist, wird aus der Tiefe hervorgehoben, mit anderem vermischt, neu genutzt – ohne Ende, ohne Endpunkt.